Letztes Update: 1. Juli 2022
Frauke sitzt seit zweieinhalb Stunden über ihr Handy gebeugt und tippt wie wild darauf herum. Unvermittelt stöhnt sie auf und greift sich ans Handgelenk, schüttelt länger ihre Hände aus und reibt sich mehrfach fest die Finger. Dann schreibt sie weiter. Die 36jährige Social-Media-Managerin leidet am Karpaltunnelsyndrom, einer der vielen schmerzhaften Krankheiten, die uns das digitale Zeitalter beschert hat.
Dass bestimmte Berufsgruppen besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind, und dass gesellschaftliche Veränderungen immer wieder neue gesundheitliche Probleme schaffen, ist ja an sich nichts Neues.
Aber eines muss man der Digitalisierung wirklichen lassen: durch den täglichen Gebrauch mobiler internetfähiger Geräte sind in kürzester Zeit beeindruckend viele neue Gesundheitsprobleme entstanden, und zwar überall auf der Welt in einem Maße, dass man gleich in mehreren Fällen von globalen Volkskrankheiten sprechen kann.
Neben Internetsüchten oder Schlafstörungen machen auch die unnatürlichen Belastungen von Sehnen und Muskeln im Bereich der Hände und des Nackens Probleme. Ich weiß, wovon ich spreche, denn in den letzten Jahren hatte ich regelmäßig mit stechenden Schmerzen in der Schulter zu kämpfen. Ich konnte mich bei der Arbeit nicht gut konzentrieren und wusste abends oft nicht mehr, in welcher Haltung ich überhaupt noch schmerzfrei und gemütlich auf der Couch sitzen konnte.
Zu dieser Zeit war ich abends oft stundenlang auf Instagram zugange, wischte im Minutentakt auf dem Display herum, um meinen Feed zu aktualisieren. Dass meine Beschwerden mit diesem Verhalten in direktem Zusammenhang standen, wurde mir erst nach einer Weile klar.
Aber Schulterschmerzen sind nur eine unter vielen körperlichen Schädigungen.
Hier sind die wichtigsten orthopädischen Symptome, die es erst seit der Erfindung von Smartphones und Tablets gibt:
Ipad-Nacken und Tablet-Schulter
Der Ipad-Nacken, auch Tech Neck genannt, entsteht, wenn wir lange und häufig übers Tablet oder Smartphone gebeugt sind. Dabei ziehen wir die Schultern hoch und verkrampfen oft völlig, ohne es zu merken. Besonders ungesund und verkrampft wird die Haltung, wenn wir das Gerät dabei auch noch in den Händen halten, anstatt es abzustellen.
Die daraus resultierenden Schmerzen in Schulter und Nacken können, wenn es schlecht läuft, chronisch werden und auch zu Kopfschmerzen führen.

Es überrascht nicht wirklich, dass es überwiegend junge Leute sind, die über gesundheitliche Probleme durch übermäßigen Tabletgebrauch klagen.
Viel erstaunlicher ist, dass in entsprechenden Studien 70% der teilnehmenden Frauen Symptome entwickelten, aber nur 30% der Männer. [1] Die Forscher sind sich noch nicht ganz sicher, woran das liegt, aber sie vermuten, dass schlicht und ergreifend die unterschiedliche Physiognomie daran schuld ist. Schmalere Schultern und kürzere Arme könnten für Frauen den Tablet-Gebrauch noch deutlich anstrengender gestalten als für Männer.
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Was hilft?
- Bringe das Tablet näher an den Kopf heran
- möglichst in eine vertikale Position annähernd auf Augenhöhe
- Stütze die Arme auf, wenn du das Tablet halten musst
- Mache regelmäßig und häufig Pausen, in denen du dich vom Gerät entfernst und mal ein paar Minuten etwas ganz anderes machst. Das sind die Momente, in denen sich stapelndes Geschirr, zu gießende Blumen oder Schmutzwäsche im Homeoffice mal ausnahmsweise als nützlich erweisen, denn bei der Hausarbeit werden die Muskeln mal wieder auf ganz andere Weise beansprucht.
- Wenn du am Tablet bzw. Handy nicht tippen musst, sondern hauptsächlich draufschaust, dann wirken Tabletständer* oder ein stabiler Schwanenhals* wahre Wunder, denn je steiler der Winkel, desto besser für deinen Nacken.
Schildkrötennacken
Ein ähnliches Phänomen ist der sogenannte Schildkrötennacken. Der Name weist bereits auf das Problem hin: ein Schildkrötennacken ist gut zu erkennen an dem wulstig gekrümmten Rücken im Nackenbereich und einem unnatürlich nach vorn gestreckten Hals. Weil er so häufig ist, fällt er aber den meisten schon gar nicht mehr auf. Das Problem kann vom Tabletgebrauch stammen, aber auch durch Bildschirmarbeit am PC oder Laptop.
Schlechte Beleuchtung und überanstrengte Augen sorgen dafür, dass wir den Kopf immer näher an das Gerät bringen. Dadurch kommt es zu Fehlbelastungen der Nacken- und Schulterpartie.

Achte einmal auf der Straße oder im Fernsehen auf den Schildkrötennacken, und du wirst ihn plötzlich überall erkennen. Nutze diese Aha-Momente, um deine eigene Haltung zu überprüfen: bringe dich wieder in eine aufrechte Position, halte den Hals gerade ohne ihn zu überstrecken und platziere den Hals wieder über den Schultern, statt davor. Der Kopf strebt nach oben und folgt nicht der Nase.
Handyarm
Der Körper hasst einseitige Belastung, aber es ist kein ganz neues Problem.
Wer in den 80er Jahren mit Boris Becker und Steffi Graf groß geworden ist, kann sich noch erinner: alle Eltern, die es sich leisten konnten, spielten früher Tennis. So entstand eine neue Krankheit: der Tennis-Arm. Eine Folge der einseitigen Überbelastung. Meine Mutter hatte das Syndrom, es wurde chronisch und sie musste Tennis aufgeben.
Als Steffi Graf 1999 in den Tennis-Ruhestand ging und der Sport ein bisschen aus der Mode kam, hatten dann schon die ersten Schreibtischtäter mit dem berühmten Mausarm zu kämpfen.
Doch inzwischen ist es längst das Smartphone, das die fiesen einseitigen Schmerzen in Schulter und Arm hervorruft. Die meistens von uns haben eine bevorzugte Seite und halten und tippen immer mit derselben Hand. Dabei sind die Geräte in den letzten Jahren wieder größer und schwerer geworden und beanspruchen die Arme noch mehr.
Natürlich wäre es am besten, das Smartphone so wenig und kurz wie möglich in der Hand zu halten. Stelle es wenigstens ab, wenn du kannst und benutze Haltemöglichkeiten für dein Smartphone wie den beliebten Popsocket* oder multifunktionale Handyringe*. Dadurch fällt es dir leichter, das Handy überhaupt zu halten und du hast du auch den Handyständer immer gleich dabei.
Handgelenke
Daumen und Handgelenke reagieren besonders sensibel auf unnatürliche Belastungen. Wer unverschämt viel tippt und Nachrichten verschickt, hat es womöglich früher oder später mit der sogenannten Whatsappitis oder gar dem Karpaltunnelsyndrom zu tun.
Whatsappitis
Die Wortneuschöpfung beschreibt eine Sehnenscheidenentzündung der Daumen und Handgelenke, die sich durch Smartphonegebrauch und Dauertippen mit einem Daumen entwickelt hat. Whatsappitis ist sehr schmerzhaft, auch eine Steifigkeit in den Daumen tritt häufig auf. Am besten hilft, den Arm ruhigzustellen, das Handy Handy sein zu lassen und mindestens so lange wegzulegen, bis die Symptome verschwunden sind, am besten darüber hinaus. Wenn sich jetzt kein Digital Detox anbietet, wann dann!
Gerade junge Leute (aber längst nicht nur die!) tun sich jedoch schwer damit, länger aufs Smartphone zu verzichten, da sich ein Großteil ihrer sozialen Kontakte online vollzieht.
Mal davon abgesehen, wie problematisch das zwischenmenschlich ist (eine andere Geschichte), kann man Whatsappitis aber auch durch Gegenbewegungen und Übungen für Zwischendurch vorbeugen und behandeln.
Kreisende Bewegungen der Daumen können helfen. Auch folgende Übung kann Linderung verschaffen:
Strecke die Arme und Hände locker vor dir aus. Hände gerade, Finger fast ganz durchgestreckt und leicht voneinander abgespreizt. Dehne nun die Finger, inbesondere den Daumen von der Handfläche weg, lass wieder locker. Wiederhole dies immer mal zwischen durch und variiere, indem du die Finger entweder voneinander abspreizt oder zusammenhältst.
Karpaltunnelsyndrom
Mit diesem Krankheitsbild ist der Spaß dann langsam vorbei. Viele Handarbeitsliebhaber’innen kennen die Symptome längst sehr gut: Brennendes Kribbeln der Fingerspitzen, Taubheit in den Daumen bis hin zu Muskelschwund am Daumengelenk gehören zu den Beschwerden des Karpaltunnelsyndroms. Zugrunde liegt ihm eine entzündliche Schwellung im Handgelenk, hervorgerufen durch Überbelastung. In jüngerer Zeit wird das Problem immer häufiger auf übermäßigen Smartphonegebrauch zurückgeführt.
Auch hier hilft es vor allem, die Ursache der Beschwerden zu eliminieren. Das Handy muss weg. Tritt brennendes Kribbeln in Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger auf oder fühlen sich die Finger gar taub an, solltest du jedoch auf jeden Fall ärztlichen Rat einholen.

Arthrose
Betraf der Verschleiß des Daumensattelgelenks, die sogenannte Rhizarthrose, bislang vor allem Frauen ab 50, so bemerken Ärzt*innen seit einigen Jahren, dass immer mehr auch jüngere Menschen von Arthrose, also Gelenkverschleiß, in den Händen betroffen sind.[2] Bei den Frauen in meiner Familie kommt Arthrose sehr häufig vor, daher weiß ich, wie schmerzhaft und frustrierend die Gelenkerkrankung ist.
Bei der Artrhose wird der Knorpel irreparabel geschädigt – man kann da also nichts rückgängig machen, nur symptomatisch behandeln und dafür sorgen, dass man im Alltag möglichst wenig beeinträchtigt ist. Die Arthose begleitet einen für den Rest des Lebens.
Smartphone-Krankheiten: Wie kann es weitergehen?
Die Hände und Daumen gehören zu den am stärksten beanspruchten Gelenken des Körpers, sie kommen fortwährend zum Einsatz. Deshalb sollten wir schon die erste Sehnenscheidenentzündung ernst nehmen, und es am besten gar nicht erst dazu kommen lassen, dass die Hände derart überansprucht werden.
Externe Tastaturen, Fingerübungen und beidhändiges Tippen sind ein Anfang. Und auch wenn es bei den jüngeren Generationen zunehmend unpopulär wird zu telefonieren, ein kurzer Anruf schont die Hände und Vieles lässt sich im persönlichen Gespräch auch schneller klären.
Nicht nur unsere Augen werden müde und unsere Nerven überreizt – auch Schmerzen in unseren Knochen, Sehnen und Gelenken machen uns jeden Tag deutlich, dass wir es mit unseren Smartphones und Ipads einfach übertreiben. Wenn wir aufhören wollen, unter unseren Devices psychisch und körperlich zu leiden und wieder die genialen Möglichkeiten des Internet genießen können wollen, müssen wir endlich zu einem maßvollen Umgang finden.
Dies kann aber nur durch Selbstkontrolle und Selbstbeobachtung gelingen.
[1] https://www.sciencedaily.com/releases/2018/06/180620150058.htm
[2 ]https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Handy-fuehrt-zu-immer-mehr-Hand-Arthrosen-225215.html