Letztes Update: 9. September 2022
Einschlafprobleme sind in den vergangenen Jahren immer mehr zur Gesellschaftskrankheit geworden. Unser durchdigitalisiertes, ultramobiles Leben verlangt nach ständiger Helligkeit draußen wie drinnen, unser Schlaf-Wach-Rhythmus ist schon lange aus dem Gleichgewicht. Kein Wunder: Globalisierung, Gleitzeit, Homeoffice erfordern oft Erreichbarkeit über mehrere Zeitzonen hinweg, Eltern verlagern wegen lockdownbedingter Schulschließungen ihre Quality Time mit dem PC in die frühen Morgen- oder späten Abendstunden.
Dennoch staunte ich nicht schlecht, als ich neulich im sogenannten Quengelbereich meiner Drogerie einen riesigen Korb voll mit der Einschlafhilfe Melatonin vorfand, und zwar an der promintesten Stelle direkt vor dem Warenband an der Kasse.
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Was ist eigentlich Melatonin und wozu ist es gut?
Melatonin ist ein Einschlafhormon. Es wird eigentlich vom Körper selbst produziert, sobald es gegen Abend dunkler wird. Das Hormon sorgt dafür, dass wir müde werden und bereitet den Körper auf das Einschlafen vor. Melatonin zum Einnehmen wird überwiegend synthetisch hergestellt, aber zuweilen auch aus pflanzlichen oder tierischen Quellen gewonnen.
Ideal wäre es, ein bis zwei Stunden vor der Schlafenszeit das Licht zu dimmen und Bildschirmgeräte auszuschalten. Denn zuviel Licht zur falschen Zeit hemmt die Produktion von Melatonin und fördert das Stresshormon Cortisol.
Woher kommen die Schwierigkeiten beim Einschlafen überhaupt?
Insbesondere das tageslichtähnliche Blaulicht ist ein Problem, das vorwiegend von Smartphones und Ipads ausgestrahlt wird. Wir bleiben noch dazu viel länger wach, als vom Körper vorgesehen, der eigentlich gerne um 9.00 abends die Nachtruhe antreten würde. [1]
Denn Shameless* bis 0:30 zu bingen ist einfach viel lustiger, als wenn um 10.00 abends schon alles zappenduster ist. Dann noch im Dunkeln eine halbe Stunde Instagram, schwupps ist es nach Mitternacht.
Revenge Bedtime Procrastination nennt sich dieses Phänomen, beziehungsweise der Drang vieler beruflich oder familiär stark eingespannter Menschen, etwas Zeit für sich selbst herauszuschlagen, wenn alle anderen schon im Bett liegen.
Wer kann es uns verübeln: Nach einem anstrengenden Arbeitstag fällt es schwer, auf diese heiß ersehnten Abendstunden zu verzichten um frühzeitig ins Bett zu gehen. So nehmen wir lieber Einschlafprobleme in Kauf und greifen sogar zu Tropfen, Sprays oder Tabletten, wenn wir zu überreizt und aufgedreht sind, um unseren Körper auf natürliche Weise zum Schlafen zu bringen.
Das Helferlein der Stunde: Melatonin.
Aber hilft synthetisches Melatonin überhaupt bei Einschlafproblemen?
Sollte es uns nicht stutzig machen, dass künstliche Hormone frei zugänglich für alle in Drogerien zum Kauf angeboten werden, obwohl ihre Wirkweise im Körper noch längst nicht vollständig erforscht sind?
Wie kann es um die schlaffördernde Wirkung synthetischen Melatonins bestellt sein, wenn es bei DM, Rossmann und Co frei verkäuflich im Regal stehen kann, wo auch Kinder und Jugendliche darauf ungehindert Zugriff haben?
Tatsächlich zeigen Studien, dass künstliches Melatonin vor allem bei jüngeren Erwachsenen keine großartige Wirkung entfaltet.[2] Und andere Forschungen haben ergeben, dass sich mit Melatoninzugabe maximal 20 Minuten bei der Einschlafzeit herausholen lassen.[3]
Aus diesem Grund wird der Stoff, um dessen Einstufung als Nahrungsergänzungsmittel seit Jahren gestritten wird [4], meist nur älteren Menschen ab etwa 55 Jahren empfohlen, weil diese den Botenstoff langsamer abbauen. Auch bei Menschen im Schichtdienst, deren Schlafrhythmus arbeitsbedingt immer wieder gestört wird, wurden positive Effekte auf das Einschlafen nachgewiesen. Wie stark diese Effekte waren, wurde jedoch individuell sehr unterschiedlich bewertet.
Was kann Melatonin leisten – und was nicht?
Wenn du Einschlafprobleme hast, kannst du natürlich freiverkäufliches Melatonin zumindest einmal ausprobieren. Aber bedenke, dass Melatonin nicht zum langfristigen Gebrauch empfohlen wird, sondern ausdrücklich nur zum kurzfristigen Einsatz.
Auch die Dosierungsempfehlungen solltest du ernst nehmen, denn das Hormon kann Nebenwirkungen wie Erschöpfung, Reizbarkeit, Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen hervorrufen.[5]
Schließlich sollte dir bei der Einnahme schon klar sein, dass Melatonin nicht dabei hilft, besser durchzuschlafen. Seine Funktion beim Schlafen beschränkt sich wirklich darauf, Müdigkeit hervorzurufen und den Einschlafprozess einzuleiten.
Wichtig: Kinder sollten auf keinen Fall Hormone verabreicht bekommen, ohne das vorher mit der Kinderärztin abzuklären.
Kommt Melatonin auch natürlich vor?
In der Tat gibt es einige Lebensmittel, die Melatonin enthalten. Der Gehalt ist jedoch in der Regel zu gering für eine spürbare Wirkung.
Lediglich wenige Nahrungsmittel wie Cranberries, Sauerkirschen oder Pistazien weisen eine relevante Melatoninkonzentration auf. Probiere ruhig einmal aus, ob dir ein Pistaziensnack* oder ein paar Mandeln am Abend beim Einschlafen helfen. Aber vorsicht, es könnte sein, dass dir die edlen Steinfrüchte einfach nur schwer im Magen liegen.
Wie kann ich besser einschlafen, ohne auf künstliches Melatonin zurückzugreifen?
Wenn du abends schlecht zur Ruhe kommst, kann das auf Dauer ein Problem im Alltag werden. Latente Müdigkeit sorgt unter anderem für schlechte Konzentration, Aufmerksamkeitsschwächen, Gewichtsprobleme und Reizbarkeit. Ziehst du deine ungesunde Abendroutine über Jahre hinweg durch, leidet der ganze Organismus unter dem Schlafmangel.
Selbst wenn Melatonin dir kurzfristig hilft, besser einzuschlafen: es ist keine Dauerlösung und übertüncht – sofern du nicht nachgewiesenermaßen unter Melatoninmangel leidest – in Wahrheit nur die eigentlichen Gründe deiner Schlafschwierigkeiten.
Und es gibt viele Gründe für Einschlafprobleme. Stress, Überreiztheit und falsche Einschlafgewohnheiten sind häufige Gründe. Bevor du zu Schlafhormonen oder Schlaftabletten greifst, lohnt es sich deshalb, dein Schlafsetting zu überprüfen und erst einmal naheliegendere Veränderungen auszuprobieren. Dann müssen Nahrungsergänzungsmittel oder gar apothekenpflichtige Medikamente vielleicht gar nicht sein.
Smartphone
Beobachte doch dich doch mal am Abend. Gehörst du zu den Menschen, die spät abends noch ausgiebig bei Instagram, Facebook oder Tik Tok unterwegs sind und sich die Finger wund scrollen?
Das blaue Licht deines Smartphones hemmt die Melatoninproduktion. Lass das Smartphone oder Ipad am besten abends ganz links liegen. Wenigstens solltest du aber ein wärmeres Licht für die Abendstunden einstellen, damit deine Augen natürlich müde werden können.
Doch oftmals reicht das noch nicht. Wenn du ständig das Handy in die Hand nimmst, hoch und runter scrollst, Social Media checkst, dann lässt das deinen Cortisolspiegel steigen. Das bedeutet, es wird Stress ausgelöst, und auch das hindert dich daran, gut einzuschlafen.
Wenn du ingesamt mit deinem Smartphoneverhalten unzufrieden bist und dich oft gestresst fühlst, wäre es womöglich an der Zeit, insgesamt ein bewussteres – oder wenn dir der Begriff lieber ist – achtsameres – Verhältnis zu deinem digitalen Leben einzuschlagen.
Ein Digital Detox, also eine kleine Pause von Social Media und Co, kann dir dabei helfen, Abstand zu gewinnen und zu einem entspannteren Umgang mit deinem Handy zu finden.
Dunkelheit
Vor der Industrialisierung und erst recht vor dem digitalen Zeitalter war es abends draußen stockdunkel. Und völlige Dunkelheit erwartet auch dein Körper, wenn es ums Schlafen geht. Schlafexperten empfehlen, den Raum deshalb nachts völlig abzudunkeln. Achte auch darauf, dass keine Standby-Leuchten stören und nicht unerwartet Nachrichten auf deinem Smartphone neben dem Bett aufleuchten.
Am Besten wäre sowieso, du verbannst das Handy ganz aus dem Schlafzimmer. Und mit einer Mehrfachsteckdose mit Schalter* kannst du mit einem Griff alle anderen Standby-Geräte im Raum ausknipsen.
Als Alternative zu dunklen Rollos und Vorhängen kannst du auch auf eine gut sitzende Schlafmaske* bauen. Ich persönlich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
Stille
Auch Lärm oder störende Nebengeräusche – etwa eine laufende Spülmaschine, Straßenverkehr oder Uhrenticken, können beim Einschlafen hinderlich sein. Gerade im Sommer, wenn man ungern bei geschlossenem Fenster schlafen möchte, kann beispielsweise heraufdringender Straßenlärm sehr stören. Schlafforscher raten, neben der Schlafmaske auch geeignete Ohrenstöpsel parat zu haben.[6] Probiere ruhig verschiedene Modell aus, bis du zufrieden bist. Jedes Ohr ist verschieden. Ich zum Beispiel fühle mich in völliger Stille beklommen. Mehr oder weniger panisch habe ich mir in der Vergangenheit schon Ohrstöpsel förmlich aus den Ohren gerissen. Deshalb benutze ich lieber Gehörschutz, der noch Restgeräusche durchlässt.
Raumtemperatur
Neben Helligkeit bzw. Dunkelheit weiß unser Körper auch auch über die abnehmende Umgebungstemperatur am Abend, wann es Zeit ist, schlafen zu gehen, und schüttet vermehrt Melatonin aus. Auch unsere Körpertemperatur fährt dann herunter, dafür sorgt dann wiederum das Melatonin. Für ein zügiges Wegschlummern und einen gesunden Schlaf wird im Schlafzimmer eine Temperatur etwa zwischen 16 und 19 Grad Celsius empfohlen. Wir alle kennen es, wenn es im Sommer wortwörtlich zu heiß zum Schlafen ist. I
Ein kleiner Trick für heiße Abende: Kühlmatten, die hauptsächlich für Haustiere erfunden wurden. Diese kleinen Matten reagieren auf Gewicht und kühlen selbstständig. Unter den Waden platziert, unterstützen sie den Körper beim Runterkühlen und ermöglichen es dir, auch bei Hitze gut einzuschlafen.
Alkohol
Hand aufs Herz: Wer hat noch nie Alkohol getrunken, um sich nach einem stressigen Tag “runterzubringen”? Alkohol kann zwar zunächst dafür sorgen, dass wir uns etwas beruhigen, als regelmäßige Einschlafhilfe taugt aber auch der leckerste Dornfelder nicht. Selbst wenn du nach Alkoholkonsum gut einschlafen kannst, ist es erwiesen, dass deine Schlafqualität insgesamt unter dem Alkoholeinfluss eher leidet. Wir sehen am nächsten Morgen zerknittert aus und fühlen uns auch so.
Pflanzliche Einschlafhilfen
Auch wenn seine Wirkung lange nicht wissenschaftlich erwiesen war, gilt Baldrian traditionell als schlafförderndes Mittel. Ich selbst musste während des Studiums schon Erfahrungen mit dauerhaften Einschlafproblemen machen und habe in dieser Zeit auch auf Baldrian zurückgegriffen. Mir hat es gut geholfen, allerdings hatte ich am Morgen häufiger Probleme, aus dem Bett zu kommen und habe öfter verschlafen, so dass ich bald wieder auf Baldrian verzichtet habe.
Daneben werden vor allem Lavendel und Melisse werden als pflanzliches Beruhigungsmittel eingesetzt. Beliebt sind in letzter Zeit Kopfkissensprays*, aber auch als einfacher Tee helfen die Heilpflanzen, runterzukommen und tun ihren schlaffördernden Dienst.
[1] http://www.schlafmedizin-berlin.de/material/3843_CME_0112_Melatonin%20und%20Schlaf_Kunz.pdf
[2] https://www.nccih.nih.gov/health/melatonin-what-you-need-to-know
[3] https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/was-bringen-melatonin-produkte-zum-einschlafen/
[4] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/melatonin-ist-meist-ein-fall-fuers-gericht-121143/
[5] https://www.aerzteblatt.de/archiv/12297/Traum-und-Realitaet-in-der-Melatoninforschung
[6] https://www.hopkinsmedicine.org/health/wellness-and-prevention/melatonin-for-sleep-does-it-work